Wir möchten Sie zu einem kleinen Experiment einladen: 
Nehmen Sie ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand. Stellen Sie den Timer auf 20 Minuten und ihr Phone auf Flugmodus. Und schreiben Sie nun sieben Erfahrungen, die Sie noch machen möchten. Wichtig: Es geht nicht um berufliche Ziele, es geht um das, was nicht lebensnotwendig, aber lebenswert ist.


Haben Sie sieben (es können auch drei oder dreissig sein)? Das ist Ihre «Bucket List».

Der Begriff stammt aus dem Englisch – «to kick the bucket» beudeutet, den Löffel abgeben – eine Bucket List ist also eine Liste von Zielen, die wir erreichen wollen, bevor wir sterben.  

Jetzt kommt der schwierige Teil: Wann nehmen Sie sich die Zeit für diese Ziele?

Die Zürcher Psychologin Alexandra Freund hat den Begriff «Bucket-List-Effect» geprägt: Im mittleren Alter, also zwischen 30 und 60, sind wir so damit beschäftigt, Familie und Karriere unter einen Hut zu kriegen, dass wir schlicht zu erschöpft sind, um uns um unsere Bucket-List zu kümmern. Wir haben keine Zeit und keine Kraft für die Freizeit. Machen nur noch das, was lebensnotwendig ist, und vernachlässigen das, was lebenswert ist.

 

Wir vertagen die Ziele auf der Bucket-List. Goal shelving, auf die lange Bank schieben, nennt sich das in der Psychologie.

Die beiden vorherrschenden Gedanken im mittleren Lebensalter:
1. «Ich würde gern…aber dafür bin ich zu erschöpft»
2. «Ich würde gern… aber dafür habe ich keine Zeit».

Wir glauben, dass wir später mehr Zeit haben und weniger erschöpft sind. Später heisst, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder es im Job ruhiger geworden ist. Wir schieben angenehme Erlebnisse manchmal so lange auf, bis wir sie vielleicht nicht mehr wollen. Wenn Sie sich zum Beispiel nach einer Reise sehnen, könnten Sie Ihre Pläne immer wieder aufschieben, bis Sie genug Geld gespart haben, um sich eine Luxusreise leisten zu können. Wenn Sie dann das Geld beisammen haben, ist die Sehnsucht, neue Orte zu erkunden, vielleicht verflogen; der Moment ist vorbei. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn zu ergreifen, als er da war.

Das Problem, so erklärte es uns Freund, liegt darin, dass wir in einer Kultur des Delay of Gratification, des Belohnungsaufschubs, leben. Wir lernen früh als Kinder, die schönen Dinge aufzuschieben. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das ist natürlich eine wichtige Fähigkeit, sonst würden wir nur noch Marshmellows essen und TikTok schauen. Andererseits: Warum eigentlich das Süsse am Schluss? Klar, wenn man es ins Extrem treibt und nur noch Dessert isst, ist das nicht gesund, aber dieses fanatisch Freudlose ist es auch nicht. Freund «Es ist wichtig zu verstehen, dass das Leben ja nicht irgendwann später anfängt, sondern das hier und jetzt, das ist unser Leben. In einer ganz trivialen Weise ist Leben immer nur jetzt.»

Am deutlichsten wird es bei der Freundschaft. Viele sagen sich: Ich möchte später gern mehr Zeit mit Freunden verbringen. Das wird nicht klappen, denn wenn du es jetzt nicht machst, hast du später keine.